A walk in nature is a radical act of self-care

Ein Spaziergang ist ein radikaler Akt der Selbstfürsorge

 

Der Boden unter meinen Füßen bewegt sich und quietscht unter meinen Füßen, jeder Schritt verströmt den reichen, kalkigen Duft feuchter Erde; ein Duft, der aus den komplexen Prozessen der Blattzersetzung, Pilznetzwerken und und den mystischen Aktivitäten von Mikroorganismen geboren ist. Hellgrüne Moose bedecken den Wald auf beiden Seiten des Weges, des weiteren sehe ich überall fantastisches Pilzwachstum in jeder erdenklichen Form und Größe. Der Boden ist übersät mit Tannenzapfen, Baumnadeln, Eichenblättern und Flechtenstücken. Über den erdigen Noten des Waldbodens schwebt der Duft von Pinien und kalter Luft. Überall, wo ich hinschaue, gibt es Tod, Leben und Verfall.

 Mein Herz klopft vor Anstrengug, während ich einen kurvenreichen Pfad den Berg hinaufsteige. Es ist so laut, weil alles andere so ruhig ist. Wälder scheinen immer uralt zu sein, auch wenn sie es nicht sind. Ich denke, das liegt daran, dass das Gehen durch den Wald für uns als Spezies uralt ist. Um das Jahr 1700 waren 90% der Landoberfläche der Erde mit Wäldern und wildem Grasland bedeckt, heute sind es nur noch 52% da wir Platz für Acker- und Weideland geschaffen haben1.


Über Jahrtausende hat der Wald für uns viele Dinge bedeutet: ein Ort des Schutzes und des Überflusses, ein Ort, an dem wir Nahrung und Brennstoff finden, oder, als wir begannen, die Bäume zu roden und das Land zu erschließen, wurde der Wald im Gegensatz dazu zu einem dunklen Ort, ein Ort, an dem die Bestien noch lauerten. Heute ist der Wald ein Ort, an dem ich mich klein fühle und die Präsenz von Kräften spüre, die größer sind als ich. Wenn ich mich klein fühle, fühle ich mich sicherer. Meine Probleme verschwinden nicht, aber der Wald erinnert mich daran, dass meine Existenz temporär ist und dass meine Probleme daher auch temporär sind. Die Natur hat eine starke ego-zerstörende Wirkung. Vielleicht ist das der Grund, warum diejenigen, die nach Macht streben, traditionell danach streben, die Wildnis der Welt zu zähmen.

 

Es ist kein Geheimnis, dass der Aufenthalt in der Natur unsere geistige Gesundheit unterstützen kann. Es ist ein vielseitiger Stimmungsaufheller. Grundsätzlich bringt uns das Gehen draußen in Bewegung, bringt unseren Blutkreislauf in Schwung und lindert die Schmerzen und die Anspannung eines Lebens, das wir (meistens) im Sitzen verbringen. Hinzu kommt der „erdende“ Effekt, die Erde unter den Füßen zu spüren, die Art und Weise, wie die Farben, Texturen und Düfte des Waldes uns im Moment ankern und unseren Augen etwas geben, das sie über die Grenzen unseres eigenen Geistes hinaus beobachten können.


Es mag seltsam erscheinen, die Vorteile von etwas so Einfachem zu verehren, etwas, das wir seit Anbeginn unserer Zeit tun, aber laut einer 2019 Umfrage, schätzten 90 % der Befragten aus Europa und Nordamerika, dass sie weniger als eine Stunde pro Tag in der Natur verbringen2. Hinzu kommt, dass ein immer größerer Teil der Zeit, die wir in unseren Wohnräumen verbringen, damit verbracht wird, auf Bildschirme zu schauen und sich zunehmend mit unserer inneren Welt auseinanderzusetzen, anstatt nach äußeren Ausdrucksformen des Lebens zu suchen.

 

Schätzungen der WHO zufolge stieg die Zahl der Menschen mit Depressionen oder Angststörungen zwischen 2005 und 2015 um 18,4 % bzw. 14,9 %3. Wissenschaftler beginnen, den Zusammenhang zwischen der psychischen Gesundheit des Menschen und dem Kontakt mit der Natur zu erforschen. Studien deuten darauf hin, dass diejenigen, die mehr Zeit in der Natur verbringen, von einem niedrigeren Cortisolspiegel und einem geringeren Risiko für die Entwicklung von Angstzuständen und depressiven Störungen profitieren können4,5.


Auf biochemischer Ebene haben wir gelernt, dass Bäume und Pflanzen sekundäre Pflanzenstoffe freisetzen, die unsere Stimmung und unser Immunsystem unterstützen können. Tatsächlich kann ein kurzes „Waldbaden“ die Anzahl der natürlichen Killerzellen (ein wichtiger Bestandteil der Unterstützung des Immunsystems) in unserem System für bis zu 30 Tage erhöhen6. Wenn wir uns draußen aufhalten, besonders in den Wintermonaten, sind wir dem Tageslicht ausgesetzt, was uns hilft, unsere Schlafhormone zu regulieren und saisonale Depressionen zu bekämpfen7.

 

Leider haben viele von uns keinen direkten Zugang zur „großen Natur“, also zu den restlichen Wäldern, Mooren und Bergen dieser Welt. Selbst außerhalb der Stadt wurde die Natur oft für funktionale Zwecke beansprucht und gezähmt, sodass uns nur weite, offene Felder übrig bleiben. Verstehe mich nicht falsch, das ist besser als nichts, da es dort noch eine verbleibende Artenvielfalt, wie beispielweise in den dichten Hecken Großbritanniens, wo ich herkomme gibt. Doch angesichts schwindender Ressourcen und wachsender Weltbevölkerung ist es sinnvoll, dass wir uns auf die Förderung eines nachhaltigen Stadtlebens konzentrieren. Wenn es uns also nicht möglich ist, in ländliche Gebiete zu ziehen, was wird dann aus unserer geistigen Gesundheit ohne den lebenswichtigen Einfluss der Natur auf unser tägliches Leben?

 

Modernes Leben sollte nicht dazu führen, dass die Natur völlig aufgegeben wird, sondern sie sollte uns dazu bringen, sie über alles andere zu schätzen. Wir können dies erreichen, indem wir uns für die Erhaltung wilder Räume einsetzen und uns die Zeit nehmen, die wir in ihnen verbringen können. Wo ich wohne, in Bayern, ist Wandern eine typische Art, die Freizeit zu verbringen, meist auf ganz einfache Weise mit nur einer Wanderkarte und ein paar Snacks. Das Wort „Wandern“ mag einschüchternd klingen, muss es aber nicht sein. Sich zu Fuß in der Natur fortzubewegen, bedeutet nicht unbedingt, einen Berg zu erklimmen, es kann auch ein gemütlicher Spaziergang entlang eines Flusstals oder ein ausgedehnter Waldspaziergang sein, während man sich mit Freunden trifft.

 

Naturorientierte Ferien können besonders erholsam sein und sind oft etwas günstiger als Städtetrips und Strandurlaube. Wenn wir uns eine Auszeit für einen Wanderurlaub oder einen Campingausflug nehmen, können wir sowohl unserem Körper als auch unserem Geist eine Pause von allem geben, was „vom Menschen gemacht“ ist. Wenn du kannst, fülle dein Zuhause mit Pflanzen, baue in den verfügbaren Außenbereichen Obst und Gemüse an und kümmere dich mit Vogelhäuschen und Insektenhotels um die Vögel und Bienen. Du kannst die Natur in deine Innenleben einbeziehen, indem du nach Büchern oder Resourcen suchst, die sich mit Landschaften und Wildnis befassen. Ich kann Outdoor-Hobbys wie Gartenarbeit, Vogelbeobachtung, Trailrunning, Wildschwimmen, Astronomie, Freilichtmalerei oder Nahrungssuche empfehlen.

 

Wir müssen beginnen zu verstehen, dass es kein Luxus ist, sich tagsüber Zeit zu nehmen, um durch den nächstgelegenen Park zu spazieren oder im Garten zu sitzen, sondern ein grundlegender Akt der Selbstfürsorge, ähnlich wie das Zähneputzen oder das Bettmachen. Die Regeln der modernen Gesellschaft werden uns sagen, dass es wichtiger ist, produktiv zu sein, aber das stimmt überhaupt nicht. Wir haben eine längere Geschichte mit der Natur als mit gegossenem Beton oder den Aktienmärkten. Die Natur hat viel mehr damit zu tun, wer wir sind, als jede Form des Lebensstils, die wir im letzten Jahrhundert entwickelt haben. Die Wissenschaft ist sich hier einig: Wir brauchen die Natur auf eine Weise, die weit über die Ressourcen hinausgeht, die sie uns bietet. Jeden Tag nach draußen zu gehen ist ein Akt der Rebellion. Es hat eine Macht, die nicht unterschätzt werden sollte, damit unsere wilden Räume nicht für uns verloren gehen und wir die Chance ganz verlieren.

 

References

 

  1. Ritchie, H. (2021) ’The world has lost one-third of its forest, but an end of deforestation is possible’ Available at: https://ourworldindata.org/world-lost-one-third-forests#:~:text=In%20just%20over%20100%20years,expansion%20of%20land%20for%20agriculture
  2. ‘Global survey finds we’re lacking fresh air and natural light, as we spend less time in nature’ Velux and YouGov, 2019. Available at: https://press.velux.com/download/711939/globalyougovsurveymodernpeople039sconnectiontonaturefinal21may2019-978723.pdf
  3. WHO (2017) ‘Depression and Other Common Mental Disorders – Global Health Estimates’ Available at: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/254610/WHO-MSD-MER-2017.2-eng.pdf
  4. Bratman et al (2019) ‘Nature and mental health: An ecosystem service perspective’ Science Advances, vol 5. Available at: https://www.science.org/doi/full/10.1126/sciadv.aax0903#sec-7
  5. Song, C, Ikei, H and Miyazaki, Y (2016) ‘Physiological Effects of Nature Therapy: A review of the Research in Japan’ International Journal of Environmental Research and Public Health. Available at: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4997467/
  6. Jimenez et al. (2021) ‘Associations between Nature Exposure and Health: A Review of the Evidence’, International Journal of Environmental Research and Public Health. Available at: https://www.mdpi.com/1660-4601/18/9/4790
  7. Raza et al. (2024) ‘Daylight during winter and symptoms of depression and sleep problems: A within-individual analysis’, Environment International, vol 183. Available at: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412023006864
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